Vorgestellt wurde die Denkschrift vom Vorsitzenden des Rates der EKD und Landesbischof Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm und von Prof. Dr. Gustav A. Horn am 28. April 2015 in Frankfurt a. Main.

Die Denkschrift im Wortlaut
Die Pressemitteilung der EKD vom 28.4.2015

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23.06.2015

Matthias Jena, Vorsitzender DGB Bayern

Kurz vor dem 1. Mai, dem internationalen Tag der Arbeit hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland seine neue Denkschrift zu Arbeit, Sozialpartnerschaft und Gewerkschaften vorgestellt.
 
Zwar steht es nirgendwo explizit geschrieben, aber natürlich ist diese Denkschrift in gewisser Weise eine Antwort, eine Ergänzung, zugespitzt könnte man auch sagen eine Art Wiedergutmachung für die „Unternehmerdenkschrift“ von 2008.

Ausdrücklich greift die EKD auf die reformatorische Erkenntnis Martin Luthers zurück, wonach alle Menschen von Gott beauftragt sind, mit ihrem Beruf anderen zu dienen und deswegen Arbeit in Selbstbestimmung, Kooperation und Solidarität - als Gemeinschaftswerk aller - erbracht werden soll. Arbeit ist und bleibt für die EKD der zentrale Punkt gesellschaftlicher Entwicklung: „Wie eine Gesellschaft künftig leben will, konkretisiert sich in nuce in der heutigen Gestaltung der Arbeitswelten, da hier bewusst, produktiv und zukunftsorientiert gehandelt wird.“ (S. 99)

Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in der Wirtschaft (Digitalisierung, Globalisierung) wird vor allem die gewachsene soziale Ungleichheit angesprochen. Zwar wird in der Denkschrift die Lage auf dem Arbeitsmarkt insgesamt als erfreulich bewertet, aber gleichzeitig die ansteigende Zahl atypischer und prekärer Beschäftigungsverhältnisse und das daraus folgende enorme Wachsen eines Niedriglohnsektors kritisch beurteilt. 

In wünschenswerter Klarheit hat der Rat der EKD den Gegensatz von Kapital und Arbeit (Seite 16) herausgearbeitet und schlussfolgert, dass die Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen werden dürfen, sondern es eine Begrenzung der Macht brauche.

Betont wird in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Betriebs- und Personalräten aber auch von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften (S 17; S 83 ff). Der Schluss des 2. Kapitels (S 38/39) liest sich nachgerade wie eine Aufforderung an alle Christen, Mitglied in einer Gewerkschaft bzw. Arbeitgeberverband zu werden. Noch deutlicher im 6. Kapitel, dort wird die Mitarbeit in den Gewerkschaften für christliche Arbeitnehmer als wesentlichen Ausdruck ihres Berufsethos bezeichnet (S 136). 

Skeptisch blickt die EKD auf die Entwicklung der Spartengewerkschaft. Ohne eine „gesetzliche Wiederherstellung“ der Tarifeinheit drohe eine weitere Erosion des Tarifsystems (S 89). Die Bedeutung der „Einheitsgewerkschaft“ wird in der Denkschrift an mehreren Stellen unterstrichen (z.B. S 72), allerdings gab es zu diesem Thema in meiner Kirche auch schon noch deutlichere Bekenntnisse (z.B. Synode von Espelkamp 1955).

Ein eigenes Unterkapitel (ab S 73) widmet die Denkschrift den Gewerkschaften im Wandel. Darin findet sich viel Richtiges über den „Trend zur Akademisierung“, die „Heterogenität der Belegschaften“ und den Herausforderungen, die sich dadurch für die Mitgliedergewinnung der Gewerkschaften ergeben. In diesem Zusammenhang wäre es sicher lohnenswert gewesen, auch einen kritischen Blick auf die mangelhafte Präsenz der "einfachen" Arbeitnehmer/innen in unserer Kirche zu werfen.

Zu Recht weist die Denkschrift auf die wichtige Funktion von Tarifverträgen (S 79) und auf das immer größer werdende Problem der mangelnden Tarifbindung hin. Deutlichere Äußerungen z.B. zur sogenannten OT-Mitgliedschaft (ohne Tarifbindung) in den Arbeitgeberverbänden wären wünschenswert gewesen. Denn immer mehr Arbeitgeber stehlen sich aus Tarifverträgen davon. In einigen Branchen gehen den Gewerkschaften schon die Verhandlungspartner aus, weil sich Arbeitgeber seitwärts in die Büsche schlagen.

Kritisiert wird die wachsende soziale Ungleichheit, die Denkschrift konstatiert ein auf hohem Niveau verharrenden Niedriglohnsektor (S 107) und stellt fest, selbstverständliches Ziel müsse es bleiben, dass jeder Vollzeitbeschäftigte von seinem Einkommen seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Leiharbeit, die feste Arbeitsplätze ersetze, stelle einen Missbrauch dar (S 108). Im Folgenden (S 109 ff) geht es um Werkverträge, deren Missbrauch durch die Denkschrift leider nicht deutlich genug benannt wird.

Durch die Denkschrift zieht sich - wie ein roter Faden - das deutliche Lob für Gewerkschaftsmitgliedschaft, Tarifautonomie, Tarifbindung, Tarifverhandlungen und Streikrecht, da wirkt das betonte Festhalten an den Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechtes, dem sog. „Dritten Weg“ (ab S 81) dann doch etwas merkwürdig.

Möge nun eine hoffentlich lebhafte Diskussion um diese Denkschrift beginnen, das Thema wäre es wert. Allein ich habe meine Zweifel. Um wirklich Diskussionen anzuregen, ist sie zu glatt gebürstet. Bei Denkschriften handelt es sich eben um Kompromisspapiere.

Vieles ist richtig und sollte schon lange mal gesagt werden, vor allem die durchgehende Anerkennung und Wertschätzung der Gewerkschaften und Betriebsräte. Anderes ist sehr zaghaft formuliert oder versteckt sich immer wieder hinter der Formulierung „ ist umstritten“. Zu oft fehlt es am Mut zur Parteinahme.

05.05.2015

Es fehlt der Mut

Wie bei der Sozialinitiative der beiden Kirchen, ist auch hier bei der Schrift der Sozialkammer die Anpassung an den Mainstream zu beklagen. Hier wie dort hat man nicht den Mut, die Tatsachen deutlich beim Namen zu nennen. Beispiel: Die „Reformen“ der Agenda 2010 seien in ihren Wirkungen „umstritten“, heißt es des öfteren.

Dabei sind die Tatsachen nicht zu leugnen: Sie waren für viele Menschen schädlich. Dagegen würde ein befreiungstheologischer Ansatz die Folgen deutlich benennen [Sehen], sie als sozialethisch nicht zu akzeptieren brandmarken (viele Menschen leiden, die Reichen werden reicher, Südeuropas Mehrheiten leiden) [Urteilen] und entsprechende Forderungen stellen: Weg mit der Austeritätspolitik [Handeln]. Schon der Aufbau der Schrift zeigt das Problem: Nicht das "Sehen" steht am Anfang, sondern die theologische Aussage. Da sollte der Stolz auf Luther sich ein Beispiel an Papst Franziskus nehmen.

Dr. Siegfried Ecker