Zwar steht es nirgendwo explizit geschrieben,
aber natürlich ist diese Denkschrift in gewisser Weise eine Antwort, eine Ergänzung,
zugespitzt könnte man auch sagen eine Art Wiedergutmachung für die „Unternehmerdenkschrift“
von 2008.
Ausdrücklich greift die EKD auf die
reformatorische Erkenntnis Martin Luthers zurück, wonach alle Menschen von Gott
beauftragt sind, mit ihrem Beruf anderen zu dienen und deswegen Arbeit in
Selbstbestimmung, Kooperation und Solidarität - als Gemeinschaftswerk aller -
erbracht werden soll. Arbeit ist und bleibt für die
EKD der zentrale Punkt gesellschaftlicher Entwicklung: „Wie eine Gesellschaft
künftig leben will, konkretisiert sich in nuce in der heutigen Gestaltung der
Arbeitswelten, da hier bewusst, produktiv und zukunftsorientiert gehandelt
wird.“ (S. 99)
Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen
in der Wirtschaft (Digitalisierung, Globalisierung) wird vor allem die
gewachsene soziale Ungleichheit angesprochen. Zwar wird in der Denkschrift die
Lage auf dem Arbeitsmarkt insgesamt als erfreulich bewertet, aber gleichzeitig
die ansteigende Zahl atypischer und prekärer Beschäftigungsverhältnisse und das
daraus folgende enorme Wachsen eines Niedriglohnsektors kritisch beurteilt.
In wünschenswerter Klarheit hat der
Rat der EKD den Gegensatz von Kapital und Arbeit (Seite 16) herausgearbeitet
und schlussfolgert, dass die Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt nicht dem
freien Spiel der Kräfte überlassen werden dürfen, sondern es eine Begrenzung
der Macht brauche.
Betont wird
in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Betriebs- und Personalräten aber auch
von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften (S 17; S 83 ff). Der Schluss des 2.
Kapitels (S 38/39) liest sich nachgerade wie eine Aufforderung an alle
Christen, Mitglied in einer Gewerkschaft bzw. Arbeitgeberverband zu werden.
Noch deutlicher im 6. Kapitel, dort wird die Mitarbeit in den Gewerkschaften
für christliche Arbeitnehmer als wesentlichen Ausdruck ihres Berufsethos bezeichnet (S 136).
Skeptisch blickt die EKD auf die Entwicklung
der Spartengewerkschaft. Ohne eine „gesetzliche Wiederherstellung“ der Tarifeinheit
drohe eine weitere Erosion des Tarifsystems (S 89). Die Bedeutung der „Einheitsgewerkschaft“
wird in der Denkschrift an mehreren Stellen unterstrichen (z.B. S 72), allerdings
gab es zu diesem Thema in meiner Kirche auch schon noch deutlichere
Bekenntnisse (z.B. Synode von Espelkamp 1955).
Ein eigenes Unterkapitel (ab S 73) widmet
die Denkschrift den Gewerkschaften im Wandel. Darin findet sich viel Richtiges über
den „Trend zur Akademisierung“, die „Heterogenität der Belegschaften“ und den
Herausforderungen, die sich dadurch für die Mitgliedergewinnung der
Gewerkschaften ergeben. In diesem Zusammenhang wäre es sicher lohnenswert
gewesen, auch einen kritischen Blick auf die
mangelhafte Präsenz der "einfachen" Arbeitnehmer/innen in unserer
Kirche zu werfen.
Zu Recht weist die Denkschrift auf
die wichtige Funktion von Tarifverträgen (S 79) und auf das immer größer
werdende Problem der mangelnden Tarifbindung hin. Deutlichere Äußerungen z.B.
zur sogenannten OT-Mitgliedschaft (ohne Tarifbindung) in den Arbeitgeberverbänden
wären wünschenswert gewesen. Denn immer mehr Arbeitgeber
stehlen sich aus Tarifverträgen davon. In einigen Branchen gehen den Gewerkschaften
schon die Verhandlungspartner aus, weil sich Arbeitgeber seitwärts in die Büsche
schlagen.
Kritisiert wird die
wachsende soziale Ungleichheit, die Denkschrift konstatiert
ein auf hohem Niveau verharrenden Niedriglohnsektor (S 107) und stellt fest,
selbstverständliches Ziel müsse es bleiben, dass jeder Vollzeitbeschäftigte von
seinem Einkommen seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Leiharbeit, die feste
Arbeitsplätze ersetze, stelle einen Missbrauch dar (S 108). Im Folgenden (S 109
ff) geht es um Werkverträge, deren Missbrauch durch die Denkschrift leider
nicht deutlich genug benannt wird.
Durch die Denkschrift
zieht sich - wie ein roter Faden - das deutliche Lob für Gewerkschaftsmitgliedschaft,
Tarifautonomie, Tarifbindung, Tarifverhandlungen und Streikrecht, da wirkt das
betonte Festhalten an den Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechtes, dem
sog. „Dritten Weg“ (ab S 81) dann doch etwas merkwürdig.
Möge nun eine hoffentlich lebhafte Diskussion
um diese Denkschrift beginnen, das Thema wäre es wert. Allein ich habe meine
Zweifel. Um wirklich Diskussionen anzuregen, ist sie zu glatt gebürstet. Bei
Denkschriften handelt es sich eben um Kompromisspapiere.
Vieles ist richtig und sollte schon
lange mal gesagt werden, vor allem die durchgehende Anerkennung und Wertschätzung
der Gewerkschaften und Betriebsräte. Anderes ist sehr zaghaft formuliert oder
versteckt sich immer wieder hinter der Formulierung „ ist umstritten“. Zu oft
fehlt es am Mut zur Parteinahme.